Kontrolle zurückgewinnen: Wie Sie souverän auf Angriffe reagieren – Rhetorische Selbstverteidigungsmethoden

Rhetorische Selbstverteidigungsmethoden

Wenn Sie angegriffen werden, lautet die erste Regel: Nicht auf den Angriff antworten. Rutschen Sie nicht in eine Rechtfertigungshaltung und versuchen Sie nicht, den Angriff auf diese Weise abzuwehren. Diese Regel widerspricht allerdings unserer Intuition.

Wir alle haben das Gefühl, einen Angriff nicht einfach im Raum stehen lassen zu können. Und das sollen Sie auch nicht. Aber Sie sollten kontrolliert vorgehen.

Stellen Sie sich vor, der Angriff kommt relativ unspezifisch, aber heftig: »Was bist du denn für ein Idiot?!« Der erste Reflex ist natürlich der sofortige Gegenschlag: »Du bist doch selber der Idiot. Frag doch den Chef, der wird dir schon sagen, wer von uns beiden hier der Idiot ist!« Aber richtig souverän wirkt das nicht, besonders, wenn Ihre Erwiderung mit sich überschlagender Stimme und zitternden Händen hervorgebracht wird.

Gefragt sind jetzt einfache Strategien. Wenn wir uns in einer extremen Stresssituation befinden, nimmt unsere Fähigkeit ab, rational zu entscheiden. Wir können nicht mehr richtig nachdenken. Dabei benötigten wir doch gerade in diesen Stresssituationen all unsere Kompetenz und all unsere Schlagfertigkeit. Probieren Sie diese leicht anwendbaren rhetorischen Selbstverteidigungsmethoden, um taktisch zu deeskalieren. Alle aufgeführten Methoden verschaffen Ihnen die Zeit, sich nach dem ersten Angriff zu sammeln und die Kontrolle über Ihre Emotionen zurückzugewinnen. Im besten Fall bringen Sie damit Ihren Gegner in ernste Schwierigkeiten.

1. Die Keyword-Methode

Die Keyword-Methode ist einfach in der Anwendung und hoch wirksam: Man nimmt ein Wort aus dem Angriff des Gegners und gibt es als ruhige Frage an den Angreifer zurück. Das Werkzeug ist perfekt für Einsteiger geeignet. Beispiel: »Wieso musst du dich immer so dumm stellen?« – »Immer?« Dieses Werkzeug – auch Keyword-Technik genannt – funktioniert fast instinktiv und ist damit das am einfachsten anzuwendende Werkzeug, um einen Angriff zu kontern und Zeit zu gewinnen. Sie greifen einfach einen zentralen Begriff des Angriffs auf und wiederholen diesen fragend. Danach warten Sie. Sagen Sie nichts. Ihr Schweigen signalisiert dem anderen, dass der Ball jetzt bei ihm liegt und er an der Reihe ist, seine Anschuldigungen zu begründen.

Das Werkzeug funktioniert herausragend gut bei Killerphrasen wie »immer«, »jedes Mal«, oder bei Übertreibungen wie »zum tausendsten Mal«. Dann müssen Sie nicht mal mehr überlegen, welchen Begriff Sie auswählen, sondern werfen einfach diese Killerphrase zurück. Jetzt ist es die Herausforderung Ihres Gegners zu erklären, inwiefern Sie etwas »immer« oder bereits »zum tausendsten Mal« machen. Und das dürfte eine große Herausforderung sein. In jedem Fall hilft Ihnen die Keyword-Technik dabei, ein bisschen Zeit zum Durchatmen zu gewinnen. So können Sie auf dieser Basis Stabilität gewinnen, um eventuell ein anderes, stärkeres Werkzeug zum Einsatz zu bringen. Trotzdem hält dieses Werkzeug ein kleines Risiko versteckt. Es könnte passieren, dass der Angreifer die Anschuldigung wiederholt und seinen Angriff auffrischt: »Ja. Immer!« Wenn das passieren sollte, gehen Sie den Schritt zum nächsten Werkzeug, der Rückfrage.

2. Die Rückfrage (Grundform)

Die Rückfrage ist ebenfalls einfach in der Anwendung. Durch offene Fragen gewinnt man mindestens Zeit. Mit komplexeren Fragen kann man den Angreifer auch komplett aus dem Konzept bringen. Dabei gibt es eine Frage, die in so gut wie jeder Situation und bei so gut wie jedem Angriff passt: »Wie meinen Sie das genau?« Beispiel: »So werden Sie das Projekt doch komplett gegen die Wand fahren!« – »Wie meinen Sie das genau?« Mit der Rückfrage zwingen Sie den Angreifer dazu, sich zu erklären. Es kann sein, dass Ihr Angreifer jetzt beginnt, sachliche Argumente aufzuführen. Das ist auch völlig okay. Dann können Sie diesem Angriff auf der sachlichen Ebene begegnen und argumentieren, warum beispielsweise das Projekt eben doch gut läuft. Eine weitere Reaktion ist, dass der Angreifer seinen Angriff erneuert. Umso klarer wird dann für alle Anwesenden, dass der Angriff nicht in sachlichen Argumenten begründet liegt. Der Angreifer macht durch eine einfache Wiederholung selbst klar, dass die ganze Geschichte weder Hand noch Fuß hat, denn sonst würde er ja sachlich argumentieren. All das können Sie bereits mit dieser Grundform der Rückfrage erreichen, nämlich der Frage: »Wie meinen Sie das genau?«

3. Die Rückfrage (auf Sachebene)

Sie können darüber hinaus auf sachlicher Ebene nachhaken. Die Faustregel lautet: Je komplexer Ihre Frage ist, desto schwieriger wird es, Ihnen adäquat zu antworten. Beispiele:

  • Welche Themen ganz genau siehst du denn gerade kritisch?
  • An welchen Stellen hast du denn gerade Bedenken?
  • Wenn du an meiner Stelle wärst, was würdest du mir denn raten, wie ich auf diesen Kommentar reagieren sollte?

Stellen Sie aber keine Fragen, die sich mit »Ja« oder »Nein« beantworten lassen. Wenn Sie beispielsweise fragen würden: »Meinst du das ernst?« könnte der Angreifer ganz einfach mit »Ja« antworten. Wenn Sie sich sicher sind, dass Sie auf der Sachebene gute Karten haben und sich nichts haben zuschulden kommen lassen, dann helfen diese Fragen, das Thema sachlich aufzulösen. Wenn Sie keine ganz saubere Weste haben oder es schon ein gewisses Level von Konflikt gibt, dann hilft vielleicht die Rückfrage auf Lösungsebene.

4. Die Rückfrage (auf Lösungsebene)

Je anspruchsvoller die Fragen werden, desto anspruchsvoller werden auch die Antworten. Sie wirken mit diesen Fragen souveräner. Eine schöne und wirksame Rückfrage ist zum Beispiel die Frage nach einem bestehenden Lösungsansatz oder gar einer zukünftigen Lösung. Dies ist wesentlich schwieriger zu beantworten als Fragen über die Vergangenheit oder aktuelle Probleme. Aber: Um eine komplizierte Frage stellen zu können, benötigen Sie stärkeren Zugriff auf Ihr frontales System. Das bedeutet, wenn Sie in der Lage sind, eine detaillierte oder komplizierte Nachfrage zu stellen, dann stellen Sie sie. Wenn nicht, weil Sie zu gestresst sind, greifen Sie zunächst auf die einfache Grundform der Rückfrage zurück. Fühlen Sie sich also ruhig genug, dann nehmen Sie doch gern die Rückfrage auf Lösungsebene:

  • Was schlägst du als eine gute Lösung vor?
  • Wie würdest du dir denn zukünftig eine Lösung vorstellen?
  • Wie können wir denn nun die Kuh vom Eis bringen?
  • Welches Vorgehen würde uns denn hier zu einer einvernehmlichen Lösung bringen, die für uns alle funktioniert?

Mit Fragen nach den befürchteten Problemen zwingen wir den anderen schon zum (Nach-)Denken. Aber Lösungen zu formulieren, ist nochmal eine ganz andere Sache und rückt den anderen noch ein bisschen mehr in eine Position, in der er vermutlich ins Schwimmen gerät. Je komplexer die Frage, umso höher ist die Schwierigkeit für Sie, aber desto besser ist auch die Wirkung. Und die tolle Chance dabei ist, dass vielleicht sogar direkt konkrete Ideen für eine Lösung kommen können.

5. Die Beweisanforderung

Die Beweisanforderung zwingt den Angreifer dazu, seine Behauptung mit konkreten Belegen zu stützen. Damit Sie dieses Werkzeug anwenden können, sollte der Angriff also zumindest einen minimalen Sachbezug aufweisen. Beispiel: »Wirklich nichts, was da in Ihrem Projekt läuft, erfüllt in irgendeiner Form unseren Anspruch!« – »Das ist eine interessante Aussage. Welche konkreten Beweise hast du denn für diese (abstruse) Vermutung?«

Sie stellen den Angreifer mit diesem Werkzeug vor die Herausforderung, konkret werden zu müssen. Gleichzeitig werten Sie den Angriff als mindestens ungerechtfertigt ab. Sie übernehmen damit die Interpretationshoheit. In Ihrer Reaktion machen Sie deutlich, dass dieser Angriff nur auf einer Vermutung beruht und degradieren damit die getätigte Aussage. Es ist wichtig, dass Sie den einleitenden Teil nicht vergessen, bevor Sie die konkreten Beweise einfordern. Gerne können Sie auch drei Beweise einfordern: »Welche drei Beweise haben Sie denn dafür?« Sie können dabei jeden Grad an Detailtiefe einfordern. Drei Beweise ad hoc zu liefern – oder zwei oder auch nur einen einzigen – ist eine große Herausforderung, vor die Sie Ihren Angreifer stellen.

Sie haben den anderen dadurch in einer Situation, in der die Chance groß ist, dass er ins Schwimmen gerät. Und selbst, wenn nun Beweise formuliert werden, dann können Sie diese einfach ablehnen, indem Sie sagen, dass Sie dieser Beweis nun nicht überzeugt: »Ich kann verstehen, wie Sie zu Ihrer Perspektive kommen. Ich sehe das allerdings anders. Wir sollten uns zusammensetzen und die Details klären. Aber jetzt machen wir erstmal bei unserer Tagesordnung weiter, okay?« Oder: »Alle Bedenken, die Sie nun vorbringen, kann ich gern entkräften, frage mich aber gerade, ob das hier hingehört. Wir hatten doch gerade ein anderes Thema auf der Agenda? Wie kommen wir denn wieder dahin zurück?«

Das Werkzeug ist nicht besonders schwierig in der Anwendung, beinhaltet jedoch ein leicht erhöhtes Risiko. Der andere könnte sich beispielsweise gut vorbereitet haben und eine Liste mit Beweisen inklusive Anlagen aus der Tasche ziehen. Wenn das passiert, stehen wiederum Sie als derjenige da, der die Fakten nicht akzeptiert. In so einem Fall empfiehlt sich eine Vertagung. Bitten Sie um Zeit, sich die Themen genau anzuschauen und prüfen zu können. »Das ist spannend, was Sie da vorbringen. Lassen Sie uns doch einen Termin machen, bei dem wir das sachlich durchsprechen. Wann passt es Ihnen dafür?« Es passiert allerdings selten. Vor allem unkontrollierte Angriffe passieren meist sehr spontan. Insofern ist auch dieses Werkzeug als Einsteigerwerkzeug geeignet. Vor allem, wenn Sie wissen, dass Sie inhaltliche Argumente durch Gegenargumente entkräften können.

Wenn wir angegriffen werden, nehmen wir häufig eine Opferrolle ein. Das Opfer identifiziert den Angreifer als Täter, fühlt sich unschuldig angegangen und im Recht. Wenn Sie erstmal in einer Opferlogik feststecken, wird es sich für Sie nicht so anfühlen, als ob Sie noch Möglichkeiten hätten, die Situation aktiv gestalten oder gar drehen zu können. Leider ist es sehr schwer, im Falle eines Angriffs diese Rolle zu verweigern.

Meistens muss der Angriff nur beginnen und eine Millisekunde später hat sich die angegriffene Person bereits in die Opferrolle begeben. Aber diese Rolle ist eben nicht die Rolle, die typischerweise Souveränität und Kompetenz ausstrahlt. Als Opfer gehen Sie voll in die Stressreaktion, bleiben darin stecken und hoffen, dass jemand anderes Sie aus dieser Patsche rettet. Um Unabhängigkeit zu erreichen ist es extrem wichtig, frühzeitig aus dem Spiel der Täter-Opfer-Rollen auszusteigen beziehungsweise gar nicht erst einzusteigen.

Werden Sie Ihr eigener Held!

Der Held will das Täter-Opfer-Spiel gar nicht erst mitspielen. Sie werden natürlich versuchen, den Täter klar in seine Schranken zu weisen, sind dabei aber nicht beleidigend oder abwertend. Helden stellen sich über die Situation, nicht aber über die Person. Sie halten die Augenhöhe und sind respektvoll. Sie können ihre Gegner deshalb respektieren, weil sie wissen, dass die meisten Angriffe nur Stressreaktionen des anderen sind. Das nun gerade Sie dem Angreifer im Weg stehen, ist ja vielleicht nur ein unglücklicher Zufall.

Oft fühlt sich auch der Angreifer als Opfer, der zu der Reaktion gezwungen wird. Ein Held wird versuchen, die Beziehungsebene so schnell wie möglich zu verlassen. Er wird den Konflikt auf inhaltlicher Ebene weiterführen, um offene Themen zu klären. Auf dieser Ebene allerdings werden Helden die Situation – nicht die Person – immer dominieren und führen wollen. Sie sind jetzt Gestalter der Situation und nicht mehr in der REaktion gefangen. Helden übernehmen dabei die Verantwortung für ihr bisheriges Verhalten (was eigene Fehler einschließt) und für die Lösung der Situation. So lassen die Helden den Angriff entspannt und ruhig ins Leere laufen.

Viel Erfolg!!

Ihr Dr. Peter Schmidke

 

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