Hygiene, Keime und kein Ende …

Im ersten Anlauf von 2008 bis 2010 konzentrierte sich die »Aktion Saubere Hände« auf Krankenhäuser, im zweiten seit 2011 befand man auch Alten- und Pflegeheime sowie den ambulanten Bereich für relevant. Besser spät als nie.

Nein, das ist eine unfaire Bemerkung. Immerhin handelt es sich bei zwei der drei Initiatoren um eingetragene Vereine (Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V., Gesellschaft für Qualitätsmanagement in der Gesundheitsversorgung e. V.) und bei einem (dem Nationalen Referenzzentrum für die Surveillance (Überwachung) von nosokomialen Infektionen) um eine dem Robert-Koch-Institut unterstellte und vom Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Charité praktisch realisierte Datensammlungsstelle. Alle drei agieren auf eigene Initiative.

»Nicht schon wieder Hygiene! Isser mit dem Thema langsam endlich mal durch?« Nee, isser nich! Bin ich als Trainer für Pflege und Betreuung in der GBB eigentlich nie. Ebenso wenig, wie man sich als professionell Pflegender permanent mit Hygiene am Patienten und am Arbeitsplatz auseinandersetzen sollte und muss. Die Ausrede »Ich bin doch keine Fachkraft, sondern bloß Pflegehelfer« gilt ganz einfach nicht. Im Gegenteil, eben hier liegt eine der Ursachen des bereits im letzten Beitrag behandelten äußerst ernsten Problems des Vormarsches der multiresistenten Killerkeime.

Noch mal rasch zusammengefasst zwecks Auffrischung der Erinnerung: Infektionsanstieg von 3 1990 auf 20 aktuell. Atemwegsinfektionen, Harnwegsinfektionen, Wundinfektionen, Blutvergiftung. Zahl der wirksamen Antibiotika stetig abnehmend, keine neuen in Sicht. 15.000 offiziell zugegebenermaßen jährlich daran versterbende Patienten in Deutschland, weltweit rund 700.000 mit weit höherer Dunkelziffer. Diesbezügliche Prognose laut Hochrechnung für 2050: Krebs wird von multiresistenten Keimen als häufigster Todesursache abgelöst. Vorausgesetzt, an der aktuellen Situation ändert sich nichts. Wieder im Bilde? Gut, dann weiter.

Vom Krankenhaus eingeschleppt …

Multiresistente Keime sind längst nicht mehr das spezifische Problem von Krankenhäusern. Wäre auch irgendwie erstaunlich, oder? Keime hüpfen leider nicht geschlossen vom Patienten herunter, sobald dieser aus der Tür des Krankenhauses tritt. »Leute, ich glaub, wir sind hier falsch! Lasst uns abhauen. Auf der Intensivstation gibt’s Frischfleisch.« Das wäre das Verhalten von Lemmingen und wurde nebenbei wissenschaftlich längst ins Reich der Mythen verbannt. Das normale Verhalten von Keimen beim Verlassen der heimatlichen Gestade erstreckt sich eher auf unbeeindruckte Weitervermehrung und hochambitionierte Infektionsbereitschaft.

Also raus aus dem Krankenhaus, rein ins Taxi, wieder raus vor Wohnungs- oder Heimtür – und schon sind die agilen neuen Mitbewohner in ambulanter wie stationärer Altenpflege angekommen. So salopp zusammengefasst eine französische Studie. Viele Patienten, die sich im Krankenhaus infiziert haben, schleppen diese Bakterien nach ihrer Entlassung in ihre Wohnungen ein. Über 50 % der ambulanten Pflegedienste versorgten 2015/2016 Patienten mit multiresistenten Keimen. Zu diesem Ergebnis gelangte das ZQP (Stiftung Zentrum für Qualität in der Pflege) nach einer Befragung von 400 Diensten. Die Gefahr, sich in der häuslichen Pflege mit einem Problemkeim zu infizieren, ist kein Daueralbtraum von Phobikern mehr, sondern ganz real.

Ebenso sind auch nosokomiale Infektionen im Sinne von Nosokomeion kein alleiniges Problem des Krankenhauspersonals mehr… (Besserwisserei ist dank Wikipedia ganz simpel). Die Benennung ist sowieso irreführend. Es stimmt schon; nosokomiale Infektionen treten gehäuft in Krankenhäusern auf, doch der Grund dafür könnte sein, dass eben dort auch gehäuft infektionsgefährdete Personen auftreten.

Wer ist denn nun eigentlich gefährdet? Die Befragung von »Professor Google« ergibt folgende erhellende Liste:

  • Krankenhauspatienten
  • Menschen mit geschwächtem Abwehrsystem (insbesondere ältere Patienten und Säuglinge)
  • chronisch Pflegebedürftige in Seniorenheimen
  • Dialysepatienten
  • Diabetiker
  • Patienten mit Fremdkörpern oder Hautverletzungen (z. B. chronische Wunden)

Hat jemand mitgezählt? Vier von sechs sind typische Fälle aus ambulanter und stationärer Altenpflege nach meiner Rechnung. Über Dialyse als fünften ließe sich maximal hinsichtlich der Häufigkeit streiten. Noch mal zurück zum letzten Punkt der Gefährdungen – Patienten mit Fremdkörpern. Zu den Gefahrenquellen für nosokomiale Infektionen gehören längerfristige invasive medizinische Hilfsmittel in weit höherem Maße als die Grundkrankheiten von Patienten. Zu diesen Hilfsmitteln wären u. a. Harnwegskatheter (Harnwegsinfektionen!) und Gelenkersatz zu rechnen. Merken wir was? Noch mehr gute alte Bekannte! Es haben also nicht nur die multiresistenten Keine, sondern eben auch die nosokomialen Infektionen in die Altenpflege Einzug gehalten.

Krankenhausinfektionen contra multiresistente Keime

Damit wir uns nicht falsch verstehen, noch mal zur Verdeutlichung: Nosokomiale Infektionserkrankungen treten als sekundäre Erkrankung während eines Krankheitsverlaufs auf, vornehmlich in Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen. Als Inkubationszeit gelten 48 Stunden oder, anders formuliert, sie darf sich nur dann Krankenhausinfektion/nosokomiale Infektion nennen, wenn sie’s in zwei Tagen schafft. Ansonsten muss sie sich mit der despektierlichen Bezeichnung »im Krankenhaus erworben« zufriedengeben. Tja, wer zu spät kommt …

Nosokomiale Infektionserkrankungen können die Folge einer Infektion, also Übertragung + Eintritt + Ansiedlung + Vermehrung sowohl von multiresistenten als auch von »empfindlichen« Erregern sein. Die multiresistenten Erreger sind bloß per vorhandener Antibiotika kaum mehr in den Griff zu kriegen, weil bereits gegen etliche immun.

Wir haben es also mit zwei ineinander verzahnten Problemen zu tun: Einer steigenden Zahl von nosokomialen Infektionen UND der rasanten Zunahme von gegen Antibiotika resistenten Krankheitserregern.

Fortsetzung folgt. Ihr Kaj Nagorsnik

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