Killerkeime … wie unhygienisch!

Als im Bereich Pflege in der GBB tätiger Trainer bin ich stets aufs Neue erstaunt über das rege Desinteresse meiner Teilnehmer am Thema Hygiene. Insbesondere, wenn ich einen Workshop über die RKI Richtlinien hygienisches Händewaschen halte,

stehe ich einer geballten Front der Ablehnung gegenüber.

»Händewaschen halt, nich‘? Kenn wa, machen wa. Nächstes Thema bitte, okay!?«

Tja, meine Lieben, »tut mir schade, aber ihr irrt, und zwar gründlich«. Mir ist durchaus bewusst, dass ich gelegentlich zur güldenen Verklärung vergangener Tage neigen, auch bekannt und gefürchtet als »Früher war alles noch besser«. In diesem speziellen Fall allerdings habe ich damit ausnahmsweise recht, da dürft ihr gerne entnervt aufstöhnen.

Der Keim geht um, der Keim geht um, bringt pro Jahr 10.000 bis 15.000 Patienten um! Und zwar allein in deutschen Krankenhäusern. Ja, richtig gelesen und keine Phantasieschockzahl aus der Schlagzeile einer Boulevardzeitung, sondern eine Schätzung des Bundesgesundheitsministeriums (2014). Ausgehend von 400.000 bis 600.000 nosokomialer oder »behandlungsassoziierter« Infektionen, also der Ansteckung während eines Aufenthaltes bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus oder einer Pflegeeinrichtung. 3,5 Prozent beträgt die Wahrscheinlichkeit, eine Krankenhausinfektion auf einer allgemeinen Station zu erwerben, und 15 Prozent auf einer Intensivstation, wobei die vier Spitzenreiter postoperative Wundinfektionen mit 225.000 Erkrankten sind. Knapp danach sind Harnwegsinfekte, Lungenentzündungen und die Venenkathetersepsis anzuordnen. Die geschätzte Morbiditätsrate beträgt 2,6 Prozent der betroffenen Patienten.

Augenblick, eine deutsche Behörde schätzt?

Tut sie, muss sie, weil das Infektionsschutzgesetz keine Einzelfälle erfasst, sondern nur »gehäuftes Auftreten«. Die DGKH (Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene), nicht gerade für hysterische Panikmache bekannt, ruft bereits für das Jahr 2012 andere Zahlen auf, nämlich 800.000 nosokomiale Infektionen und 40.000 Tote. Es geht noch besser: Das AQUA-Institut (2013) benennt 975.000 nosokomiale Infektionen und die Süddeutsche Zeitung 3 Mio. nosokomiale Infektionen sowie 50.000 verstorbene Patienten.

Damit vorerst genug der Hochrechnungen und Statistiken. Die Gefahr für Gesundheit und Leben ist real existent. Hinter jeder Zahl stehen Einzelschicksale.

Mit »Keim« ist in der Medizin und Pflege entweder ein Krankheitserreger bzw. pathogener Mikroorganismus oder etwas anachronistisch, der Keimling, also das Embryo gemeint. In unserem Fall geht’s selbstverständlich um ersteren. Killer-Embryonen klänge nach einem ziemlich geschmacklosen Horrorfilm. Die Rede ist also vom Kreis der üblichen Verdächtigen: Viren, Bakterien, Pilze und Parasiten.

Zum Beispiel das Bakterium Staphylococcus aureus

Deshalb wollen wir aus hochaktuellem Anlass über das Bakterium Staphylococcus aureus sprechen. Von kugelförmiger, winziger Gestalt (maximal 1,2 Mikrometer), chillt es bevorzugt in Haufen oder auch Trauben mit seinen Artgenossen. Soll heißen, von sich aus bewegt sich das Bakterium schon mal nicht freiwillig. Dieser putzige kleine Geselle siedelt mit Vorliebe unter den Achseln und den Leisten, auf dem Nasenvorhof, ja sogar mal im Rachen des Menschen. Doch nicht nur dort, Haut oder Schleimhaut eines jeden Warmblüters, selbst Tankstellenmahlzeiten und notfalls Dorfteiche sind ihm durchaus recht. Kurz gesagt, man trifft Staphylococcus aureus an wirklich jeder Ecke. Man entkommt ihm einfach nicht! Über ein Viertel aller Homo sapiens schleppen ihn mit sich herum. An den besagten Örtlichkeiten existiert das uns nun fast schon liebgewordene Bakterium in aller Harmlosigkeit.

Doch Vorsicht! Denn die so kolonisierten Personen leben mit einem erhöhten Risiko. Gelangt Staphylococcus aureus nämlich über Schleimhäute oder Wunden in den Körper, kann aus der friedlichen Koexistenz eine Infektionskrankheit werden. Angefangen mit Hautentzündungen wie Furunkulose, also gleich mehreren Haarbalgentzündungen, die zum einen schmerzhaft sind sowie meist an den ungünstigsten Körperstellen auftreten, zum anderen zum Karbunkel verschmelzen können, was eine Sepsis oder Hirnhautentzündung bedeuten kann. Auch bei günstigster Entwicklung ist so ein Furunkel stark beeinträchtigend für das Sozialleben, wie jeder pubertätsgeplagte Teenager aufseufzend bestätigen wird. In den Muskeln, konkreter in der Skelettmuskulatur, kann Staphylococcus aureus Pyomyositis hervorrufen. Das sind Abszesse, in deren Folge es bis zur Zersetzung der befallenen Muskelstellen kommen kann. Und Staphylococcus aureus ist noch weit leistungsfähiger: Mastitis, Lungenentzündung, Endokarditis, toxisches Schocksyndrom (TSS) usw. sind weitere Krankheitsbilder.

Zusammengefasst: »Staphy« vermag ernsthaft eklig zu werden, wenn ihm danach ist. Leider waren das bereits die guten Nachrichten, denn bislang sprachen wir von MSSA, dem methicillin-empfindlichen Staphylococcus aureus.

MRSA

Ab jetzt geht’s um MRSA, den Knastologenzweig der respektablen Bakterienfamilie. Von den oben erwähnten 400.000 bis 600.000 Fällen behandlungsassoziierter Infektionen ist MRSA mit 50.000 Betroffenen lediglich ein kleiner Teil, dafür erwiesen sich 10 Prozent der in Krankenhäusern untersuchten Staphylococcus aureus bereits als multiresistent. Folge der Resistenz ist ein 50 Prozent höheres Sterberisiko.

Im gängigen Sprachgebrauch wird in Europa der Begriff MRSA benutzt, also methicillinresistenter Staphylococcus aureus. Dieser Ausdruck ist aber bei uns nicht korrekt, denn das Antibiotikum Methicillin ist in den USA zugelassen, hat allerdings in Europa ausgedient. Hier wird das Antibiotikum Oxacillin verwendet, weshalb oxacillinresistenter Staphylococcus aureus, also ORSA richtig wäre.

Es geht noch übler! Die schwerkriminelle Verwandtschaft rückt vor. CA MRSA (Community Acquired MRSA) heißt die neuste Form des resistenten Bakteriums. Ein pathogener Erreger, der völlig anders als bislang nicht primär immungeschwächte oder alte, sondern auch junge Menschen attackiert und völlig neue Reviere außerhalb der Krankenhäuser oder Arztpraxen erobert. Er ist in Schwimmbädern, Diskotheken, Schulen, Fußballvereinen, mit einem Wort in Gemeinschaftseinrichtungen vorzufinden.

Allzweckwaffe Antibiotikum

Die klassische Allzweckwaffe bei der Infektionsbehandlung sind Antibiotika. Das Problem hierbei ist bekannt – die Resistenzen gegen Antibiotika nehmen zu. Wieso? Zum Beispiel kann man bei einer beginnenden Lungenentzündung nicht geruhsam abwarten, bis der Infektionserreger identifiziert wurde. Also wird ein Antibiotikum mit breitem Spektrum eingesetzt. Damit einhergehend besteht die Gefahr der Ausbildung von Resistenzen.

Oxacillin fiel also aus. Man wich anfangs auf Vancomycin aus, bis hier ebenfalls die ersten Resistenzen auftraten und ist aktuell beim Antibiotikum Linezolid angelangt. Gelinde Entwarnung – es gibt noch sogenannte »Reserve-Antibiotika«. Die Frage lautet jetzt, wie lange dauert es, bis Staphylococcus aureus auch diese problemlos verdaut. Multiresistente Keime sind schwer zu eliminieren und die Übertragung auf Dritte ist kreuzgefährlich. Ein aktueller Fall vom Januar 2017 beschreibt, dass in den USA eine Patientin an einer Lungenentzündung verstarb, obwohl man den Erreger rechtzeitig identifizierte. Es handelte sich um das multiresistente Klebsiella pneumoniae Bakterium. Nur erwies sich dieses als im wahrsten Sinne des Wortes multiresistent gegen alle 26 in den Staaten zugelassenen Antibiotika.

Ohne wirksame Antibiotika-Therapien zeichnet sich eine düstere Zukunftsvision ab. Krankheiten, die für uns längst zu reinen Kinderschrecks verkamen, nehmen plötzlich einen dramatischen, einen tödlichen Verlauf.

Aber nicht nur bei MRSA stehen wir vor schwierigen Zeiten, sondern auch z. B. bei den Acinetobacter, einer anderen Bakterienfamilie mit vergleichbar schlechten Angewohnheiten. Hier ist eine ähnliche Entwicklung zu beobachten.

Alternative Wege zu den Antibiotika, zum Beispiel das Impfen, wären ein großer Fortschritt. Ein weiterer Ansatz ist die wieder aufgenommene Forschung hinsichtlich der Einsatzmöglichkeiten von Bakteriophagen – das sind die kleinen Racker, welche zur Abwechslung mal den Bakterien als befallenen Wirten das Leben vermiesen.

Zurück zur Hygiene

Der Grund für die ansteigende Übertragung ist, eigentlich schier unglaublich, tatsächlich mangelnde Hygiene. Ein Drittel der Infektionen wäre vermeidbar!

  • Platz 1 der aktuellen ORSA-Charts belegt »die Übertragung von Keimen per Hand von Mensch zu Mensch …«
  • Auf Platz 2 folgen »… verunreinigte Gegenstände wie Türklinken, Handläufe, Griffe und Badutensilien.« Die Killerkeime haften nämlich ganz hervorragend an Plastik oder Edelstahl.

Fällt bei der Aufzählung besagter Gegenstände irgendetwas auf?

Kleine Hilfe:

  1. Es handelt sich um Gegenstände, die häufig angefasst werden.
  2. Punkt 1 ist bekannt, weshalb man diese Gegenstände eigentlich regelmäßig desinfiziert.

Denn: Überraschung, Überraschung, Hände sind Keimüberträger!

Fortsetzung folgt! Ihr Kaj Nagorsnik

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